Geschichte

Wie Gift zu Agathas Christies bevorzugter Mordwaffe wurde

Von Tom | 10. September 2020


Neben William Shakespeare, gehört die Belletristik-Autorin zu den weltweit meistverkauften Schriftstellern: Agatha Christie kann zweifelsohne als legendär beschrieben werden. Ihre schier unfassbaren Kriminalgeschichten, weit entlegene Handlungsorte und ihre rätselhaften Protagonisten faszinierten Bücherwürmer rund um den Globus. Dabei wiederholt sich ein Handlungsstrang immer wieder: irgendwer wird vergiftet. In mehr als der Hälfte ihrer Werke kommt Gift zum Einsatz und etwa 30 ihrer Figuren fielen einem Giftmord zum Opfer. Weniger bekannt ist, dass ihr Wissen über Gift aus einem direkten Draht zur Pharmazie herrührt. Mehr erzählt uns der Bücher-Experte Sebastian Arthur Hau.


Wie ein roter Faden zieht sich das Thema Gift durch die Romane von Christie. Eigentlich gar kein neues literarisches Stilmittel, denn bereits Shakespeare setzte es in Hamlets Fechtkampf ein und auch in Die Metamorphosen des römischen Dichters Ovid wird das vergiftete Blut der Hydra als Waffe eingesetzt. Aber aus der Feder von Agatha Christie stammen einige der kreativsten und tödlichsten Giftanschläge. 


Christies Gift unterscheidet sich vom typischen literarischen Melodrama. Es liegt wohl daran, dass die Ideen dazu aus ihrer Erfahrung als Kriegskrankenschwester herrühren. Alles was sie darüber schreibt, ist gespenstisch kalkuliert und wirkt insgesamt glaubwürdiger als bei allen anderen Autoren. Auch Fachleute verneigen sich vor ihrem Wissen und Pathologen bescheinigen, dass die Beschreibungen äußerst realistisch sind. Sebastian sagt dazu: „Genau wie die scharfen Augen und das Urteilsvermögen ihrer Figuren, Miss Marple und Inspektor Poirot, wird Christies Einsatz des Gift von ihrem guten Auge für die Realität geleitet".


Arbeiten im Krieg


Christie war nicht nur eine engagierte Schriftstellerin, sie war auch aktive Humanistin. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete sie freiwillig als Krankenschwester für das Rote Kreuz in Torquay, Devon, und leistete dort über 3.000 Arbeitsstunden ab. In dieser Zeit hat sie das entsprechende Wissen über Medikamente und Gift aufbauen und vertiefen können. Erfahrungen, die die fiktiven(!) Morde in ihren späteren Büchern prägen. 



Christie meldete sich in beiden Weltkriegen als Krankenschwester und arbeitete in der Medikamentenausgabe, wo sie wertvolle Einblicke in die Pharmazie erlangte

Zunächst war sie als Krankenschwester in der Intensivmedizin eingesetzt, wo sie mit vielen Schwerverletzten zu tun hatte. Allerdings nicht sehr lange. Da ihre Vorgesetzten fanden, dass sie für diese Arbeit nicht geeignet war, kam sie schlussendlich in der Apotheke zum Einsatz. Die richtige Entscheidung, denn sie war von dem Fach begeistert. Weil zu damaligen Zeit die Rezepte von Hand ausgestellt wurden und somit bestimmte Qualifikationen erforderlich waren, um in der Medikamentenausgabe zu arbeiten, begann Christie Chemie zu studieren. Und hier beginnt es: die persönlichen Erfahrungen Christies finden sich in ihren Schriften wieder. Im Rahmen des Studiums wurde sie vom ruchlosen Apotheker „Mr. P." angeleitet, der sich später als Figur im Roman Das fahle Pferd wiederfinden lässt.


Der Apotheker Mr. P. war ein nebulöser Mann, der versuchte, seine Kunden mit Hilfe von Curare-Pflanzen zu vergifteten, einer Pflanzengattung, die Erstickung und Lähmung auslöst. Dem Buch A is for Arsenic: The Poisons of Agatha Christie von Kathryn Harkup nach, hat Christie einigen Kunden dieses Apothekers das Leben gerettet. 


Umgeben von Chemikalien und Giften scherzte Christie mit ihrer Schwester, dass sie mit ihrem spezifischen Wissen Kriminalromane schreiben könnte. „Da ich ständig von Gift umgeben war, liegt es natürlich nahe, dass die Vergiftung meine bevorzugte Mordmethode wurde". 


Giftige Präzision


Allerdings hätte nicht einmal Christie vorhersehen können, wie sehr die Zeit in der Apotheke ihre Arbeit beeinflussen würde. Ihr ausgeklügeltes Wissen über Gift ist ein großer Teil dessen, was die Leser an ihrer Arbeit fasziniert, sagt Sebastian. „Sie investiert immer einen Teil ihrer persönlichen kriminellen Energie in das beschriebene Verbrechen, indem sie die Szenen in den Büchern sorgfältig gestaltet und präzise Mechanismen schafft. Man merkt, dass ihr der akribische Aufbau und der Überraschungsmoment für die Leser großes Vergnügen bereiten. In einer Rezension ihres Buches The Mysterious Affair of Styles schrieb das Pharmaceutical Journal, dass „dieser Roman den seltenen Mehrwert hat, korrekt geschrieben zu sein". Natürlich klar, dass Christie eine kleine private Bibliothek mit medizinischen Büchern besaß und als Nachschlagewerk nutzte. 



Der Orient-Express war Schauplatz eines von Christies berühmtesten Morden

Während des Zweiten Weltkriegs meldete sie sich erneut freiwillig als Krankenschwester und erhielt eine Auffrischung über moderne Medizin und Gifte, einschließlich derer, die damals in Großbritannien als neuartig galten. Das wirkte sich natürlich auch auf ihre Bücher aus. Während die Giftmorde zu Beginn ihrer Karriere meistens durch Überdosierungen herbeigeführt wurden, ging sie bald zu hinterhältigeren Verbindungen über, darunter Zyanid und Rizin- Chemikalien, die wir heute eher mit Spionage-Thrillern wie James Bond in Verbindung bringen. 


Was einen als Leser besonders in den Bann zieht ist, dass die gewählten Substanzen auch als Normalbürger zugänglich sind. Zyanid befindet sich in Pestiziden und viele giftige Pflanzen (Schierling, gelber Jasmin), die in ihren Romanen zum Einsatz kamen, finden sich in einem gewöhnlichen englischen Garten. Christie spielt mit dem Normalen und mit alltäglichen Ritualen. Ihre Todesfälle finden eher zur Teezeit als um Mitternacht statt. Genau dann, wenn das unbedarfte Opfer an einem mit Arsentrioxid aufgegossenen Tee nippt und nichts davon merkt, weil Arsen auch in großen Dosen geschmacksneutral ist. Für Christie wurde das Vertraute bald zum Tödlichen - und jeder war verdächtig. 



Christies Bücher waren so detailliert, dass sie manchen Lesern dabei halfen, Fälle von Vergiftungen in ihrem eigenen Leben aufzudecken

Bücher wie Das fahle Pferd dienten allerdings nicht nur der Unterhaltung, sondern wurden auch zur Blaupause echter Giftmorde. Da gab es den Fabrikarbeiter Graham Young, der seine Arbeitskollegen vergiftete. Dafür versetzte er ihren Tee mit Thallium, so wie es ein Agent in einem von Christies Büchern tat. Anderseits haben ihre Geschichten auch Leben gerettet. Laut John Elmselys, Autor von „The Elements of Murder A History of Poison“, blieben eine Frau und Säugling aus Katar verschont, nachdem Leser die Symptome als Thalliumvergiftung erkannt hatten. 


Christies Wissen über Gift ist immens, aber, wie Sebastian sagt, ist der Erfolg vor allem auf ihre Fähigkeit zurückzuführen, uns etwas über den Zustand der Menschheit zu erzählen. „Ich denke, abgesehen von der Intrige und der jeweiligen Lösung, hat sie ein Talent, die Menschen in ihrem täglichen Leben und mit ihren Sorgen zu beschreiben. Sie nimmt Sie mit auf eine Reise durch die Landschaft und in die dunkelsten Gefühle und Sehnsüchte". 


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