Interviews

Hat sich die Situation für Frauen in klassischen Branchen durch Technologie verbessert?

Von Tom | 1. März 2023

Obwohl es älteren klassischen Branchen wie der Kunstbranche recht gut gelingt, uns vorzugaukeln, dass hier Frauen an der Spitze stehen, sind es doch am häufigsten Männer, die hinter den Kulissen das Sagen haben. Das soll sich durch die Einführung von Technologie ändern, da sie Arbeitsbereiche innovativer macht und demokratisiert, indem Zugänglichkeit, Modernität und Relevanz erhöht werden. Zumindest theoretisch. Wir haben mit vier Frauen gesprochen, die Expertinnen in den Bereichen Kunst, Schmuck, Design und Spielzeug sind, um herauszufinden, wie Technologie ihre Arbeit geprägt hat – und ob sie die Dinge zum Besseren verändert.


Zugängliche Kunst


Anita Helmy hat keine Angst vor Technologie. Im Gegenteil, sie hat sie immer geliebt. Als Kunstexpertin hat sie den Einzug neuer Technologien von Anfang an miterlebt. „Schon in den Achtzigern konnte ich mit dem Computer arbeiten und ich habe sogar eines der ersten digitalen Selbstporträts von mir gemacht. Aus heutiger Sicht mag das vorsintflutlich erscheinen, aber damals war es innovativ.“ 


Inzwischen hat sich die Kunstwelt enorm weiterentwickelt und statt der simplen digitalen Porträts von damals sehen wir mit der Ankunft der Künstlichen Intelligenz eine Flut von gerenderten Versionen unserer selbst. Nie hatten Künstler mehr Zugang und mehr Mittel, um Kunst zu erschaffen – wo immer sie sind und wer auch immer sie sind. Ob das gut ist, ist eine Frage, die noch beantwortet werden muss, aber es ist ein Zeichen dafür, welche Fortschritte die Branche und insbesondere die Frauen in der Branche gemacht gaben. 



Ein Selbstporträt von Anita Helmy aus den aus den 80er Jahren 

„Seit den 80er Jahren sind Frauen in den Niederlanden zu Individuen geworden. Es gab eine Zeit in den 70er Jahren, in der Frauen nicht arbeiten konnten und zu Hause bleiben mussten. Heute kann ich als Expertin für ein Auktionshaus Kunstwerke primär am Computerbildschirm beurteilen.“ Laut Anita liegt der Hauptvorteil der Technologie darin, dass sie ein effektives Hilfsmittel für die Erstellung von Konzepten ist und einen immer besseren Zugang zur Kunst ermöglicht. „Durch den Erfolg von Social Media verbreitet sich Kunst schneller. Traditionelle Gender-Normen und Zugangshürden schwinden durch Technologie.“


Ist sie besorgt darüber, dass die Technologie die Branche noch weiter verändern wird? Ganz im Gegenteil – sie begrüßt diese Entwicklung. „Natürlich ist es immer noch sehr wichtig, Messen, Galerien und Ateliers zu besuchen, um auf dem Laufenden zu bleiben, wenn es um neue Techniken und Stilrichtungen geht“, erklärt sie. „Aber neue Technologien sind nur ein Medium, man kann sie mit der Fotografie im 19. Jahrhundert vergleichen. Künstler dachten damals, dass die Fotografie das Ende der Malerei bedeuten würde. Aber wir sind heute an einem Punkt, an dem es mehr Kunst gibt als je zuvor; Kunstschaffende zeichnen ihre Skizzen auf einem iPad und verwandeln diese Skizzen dann in ein Gemälde. Technologie beunruhigt mich überhaupt nicht – sie ist bereichernd und wird neue Möglichkeiten eröffnen, Kunst zu erschaffen.“


Gestaltung einer gleichberechtigten Welt


Design beeinflusst jeden Aspekt unseres Lebens – es sorgt dafür, dass es schöner und besser wird. Dank Designern wie Charlotte Perriand, Florence Knoll und in jüngerer Zeit Zaha Hadid haben Frauen schon lange Bahnbrechendes geleistet, wenn es darum geht, wie wir die Welt durch Form sehen. Obwohl ihr Einfluss unbestreitbar ist, bedeutet das nicht, dass es eine Welt ist, die von Frauen regiert wird, meint Designexpertin Eléonore Floret.


„Wir sollten nicht vergessen, dass Design bis vor kurzem reine Männersache war. Es gab nur ganz vereinzelt Frauen in der Branche und sie fanden auch erst spät Anerkennung“, sagt Eléonore. „In vielerlei Hinsicht ist das immer noch so. Berühmte zeitgenössische Designerinnen sind eine Minderheit. Aber wir sehen eine Veränderung. Im zeitgenössischen Design hat die Zahl der Designerinnen in den letzten 20 Jahren zugenommen. Auch in Designschulen oder auf Messen sehen wir immer mehr Frauen. Und bei Auktionen für zeitgenössisches Design ist die Anzahl der Objekte von Designerinnen fast gleichauf mit der Anzahl der von Männern angebotenen Objekte.  



Design war schon immer untrennbar mit Technologie verbunden

Hat Technologie etwas damit zu tun? In gewisser Weise ja. „Design basiert auf der Entwicklung der Technologie, die das Design tagtäglich beeinflusst“, erklärt Eléonore. „Es ist so viel einfacher, die ganze Welt an der eigenen Arbeit teilhaben zu lassen, neue ästhetische Konzepte zu entdecken und Inspirationen zu finden. Technologie ermöglicht zudem auch den Zugang zu neuen Publikumsgruppen und ist auch bei der Produktion hilfreich, da man durch sie Zugang zu einer großen Anzahl von Werkstätten mit einer Fülle unterschiedlicher Spezialgebiete und Preise hat.“ 


Obwohl der Aspekt der Zugänglichkeit mit Sicherheit ein großer Vorteil der Technologie ist, hat er auch seine Nachteile. „Es kann sehr schwierig sein, in der schieren Unendlichkeit des Internets seinen Platz zu finden. Und durch den Wunsch, immer den neuesten internationalen Trends folgen zu wollen, neigt die visuelle Ästhetik zur Vereinheitlichung und Angleichung, was sich wiederum auf die Kreativität und Innovation auswirkt.“


Technologie kann jedoch dazu beitragen, den Zugang zu einer Branche zu demokratisieren, die zuvor möglicherweise den Eindruck vermittelt hat, absolut unerreichbar zu sein – insbesondere für Frauen. „Catawiki ist ein gutes Beispiel hierfür“, sagt Eléonore. „Es gewährt allen Verkäufern freien Zugang und bietet Kreativen die Möglichkeit, einen Design-Betrieb aufzubauen, wenn sie noch am Anfang stehen.


Ungeschliffene Edelsteine


Wenn man an Edelsteine und Schmuck denkt, fallen einem sofort die Handelshäuser in Antwerpen ein – ein Bild, das gleichermaßen zauberhaft und altertümlich erscheint. Für Schmuckexpertin Clémence Devaux, ist dies die reale Situation, wenngleich sich die Welt der Juweliere seit dem 15. Jahrhundert verändert hat – und die Technologie hat dabei eine Schlüsselrolle gespielt. „Die Technologie hatte einen großen Einfluss auf die Branche. Angefangen bei den Technologien, die wir beim Schmuckdesign anwenden, bis zu Druckverfahren vor höchster Qualität – die Auswirkungen waren enorm“, erklärt sie. „Im Laborbereich haben wir neue Maschinen, die synthetische Materialien erkennen können. Sie sind sehr hilfreich für unsere Branche, denn wir können sie nutzen, um die Echtheit der Produkte zu verifizieren, was wiederum dazu führt, dass die Qualität der verkauften Produkte insgesamt höher ist.“


Es gibt jedoch immer noch eine große Fehlannahme, wenn es um die Schmuckbranche geht: Auch wenn es so scheinen mag, sind Frauen nicht die führenden Figuren in der Branche. „Es gibt viele Männer, die Schmuck für Frauen herstellen“, erklärt sie. „Obwohl es den Anschein haben mag, dass Frauen eine führende Rolle in der Schmuckbranche haben, sind die Männer hinter den Kulissen die eigentlichen Führungsfiguren.“ Das hat nicht unbedingt zu bedeuten, dass es Clémence als Frau in der Branche schwer hatte, sie stellt lediglich fest, dass dies nun mal die Realität ist. „Es ist eine altmodische Männerbranche, aber ich habe sie nie als frauenfeindlich empfunden.“



Die Schmuckbranche mag auf den ersten Blick wie eine von Frauen dominierte Welt wirken, hinter den Kulissen haben jedoch meistens die Männer das Sagen

Möglicherweise ist ein Teil davon darauf zurückzuführen, wie die Technologie die Art und Weise, wie Menschen in der Branche arbeiten, verändert hat. Clémence nennt Catawiki als Beispiel – hier zeichnet sich bereits ab, wie die Technologie bestimmte Tätigkeiten zugänglicher macht. „Wenn man heutzutage Gemmologie studiert, herrscht zunächst eine echte Gleichstellung. Wenn man dann aber in der Arbeitswelt ankommt, ist man mit den Söhnen, die das Geschäft von ihren Vätern übernommen haben, konfrontiert. Wenn man sich im Gegensatz dazu Catawiki anschaut, sind es im Bereich des neuen Schmucks hauptsächlich Frauen, die das Sagen haben. Und Frauen, zu denen ich aufschaue, wie Pamela Hastry von Morphée Joaillerie, Valérie Messika und Monique Pean verändern die Schmuckwelt, indem sie an der Spitze stehen.“


Zur Frage, ob Technologie dazu beigetragen hat, Frauen in der Branche zu stärken, sagt Clémence, dass es eher darum geht, allen zu helfen. „Schmuck ist eine Wertanlage. Die Menschen versuchen immer, ihre Investitionen zu diversifizieren. Aber man sollte offen bleiben. Dies ist eine Branche, in der man nie denken darf, dass man alles weiß – aber gerade das macht sie so interessant.“


Ein Modell der Gleichheit


Es kann durchaus sein, dass Automobile im Laufe der Geschichte fälschlicherweise mit Männern in Verbindung gebracht wurden, wenn man bedenkt, dass Frauen in der Vergangenheit Rekorde in diesem Bereich aufgestellt haben – so haben sie als erste motorisierte Gangs gegründet oder sich auf den allerersten Roadtrip begeben. Und in der etwas weniger bekannten Welt der Modellautos sieht es nicht anders aus. Für Modellauto-Expertin Laura Brianza sind sie ein fester Bestandteil ihrer Familiengeschichte – einer Geschichte, deren Verlauf sowohl von ihrer Mutter als auch von ihrem Vater beeinflusst wurde. 


„Modellautos waren eine Passion, die mein Vater, der Künstler, und meiner Mutter, die ihn seit den Anfängen unseres Familienunternehmens vor 50 Jahren immer unterstützt hat, geteilt haben“, sagt sie. „Meine Mutter hat sich immer um das Marketing gekümmert und dadurch die Liebe zu Modellautos entwickelt, die sie an mich weitergegeben hat.“ 



Laura hat ihre Liebe zu Modellautos zu einem großen Teil ihrer Mutter zu verdanken

Obwohl das eigentliche Sammeln bei Modellautos analog ist, bedeutet das nicht, dass die Technologie keinen Einfluss auf die Welt der Modellautos hatte. Laura ist selbst sehr aktiv auf TikTok – ein perfektes Beispiel für die im Trend liegenden gemütlichen Hobbys im Jahr 2023 – und die Technologie stellt heute eine Herausforderung für eine Branche dar, die sich primär durch ihre analoge Natur definiert. „Die Technologie hilft den Herstellern von Modellautos wirklich, denn das 3D-Modelling ist inzwischen zur Realität geworden und ist eine große Hilfe bei der Produktion von Einzelmodellen, die jetzt günstiger zu haben sind und gleichzeitig eine höhere Qualität haben“, erklärt sie. „Die Technologie verändert durch den Online-Zugang auch die traditionelle Art des Sammelns und schafft dadurch eine neue Herausforderung für Hersteller, die auf dem Markt immer die Nase vorn haben wollen.“


Und zu der Frage, ob die Technologie die Kluft zwischen den Geschlechtern vergrößert oder verkleinert hat, hatte Laura Folgendes zu sagen: „Die Gleichstellung der Geschlechter resultiert aus einer bestimmten Geisteshaltung und entsteht durch Menschen, nicht durch Technologie. Aber das Wichtigste ist die bestmögliche Entwicklung von persönlichen Fähigkeiten – egal ob man ein Mann oder eine Frau ist. Wir müssen die besten Eigenschaften eines Menschen erkennen und Technologie kann uns dabei helfen.“


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